Wer über Hypnose spricht, spricht fast immer auch über Macht. Nicht zwingend die offene, brutale Macht – eher jene leise Form, die sich in Sätzen versteckt, die wir für „wahr“ halten, weil sie von einer Autorität kommen. Hypnose wirkt, weil Menschen suggestibel sind; weil sie lernen, sich erinnern, sich ängstigen, sich beruhigen – oft ohne es zu merken. Und weil das „Ich“, dieses stolze Zentrum der Selbstbehauptung, in Wahrheit ein fragiles Konstrukt ist, das erstaunlich leicht aus dem Takt gerät.
Der Psychiater und Psychotherapeut Dr. Pablo Hagemeyer beschreibt das Ich auf dem 48forward Festival 2025 in München als psychologische Notwendigkeit und zugleich als Täuschung: „Das Ich ist eine Illusion.“ Es sei ein „Ankerpunkt“, an dem Bewusstsein gebündelt werde, damit wir uns als „Ich“ erleben. Aber: Wer sich mit Persönlichkeitsstilen wie dem Narzissmus beschäftigt, weiß, dass dieser Anker auch zur Falle werden kann – besonders dann, wenn das Ich ständig Bestätigung sucht oder permanent Angst hat, nicht zu genügen.
Genau dort berührt Hypnose eine wunde Stelle unserer Zeit. Denn immer häufiger tritt neben den Menschen ein zweiter Spiegel: die KI. Sie validiert, wiederholt, spiegelt – und erzeugt damit etwas, das nach Empathie aussieht. Hagemeyer sagt, die KI „suggeriert, man hat das Gefühl, die versteht einen“. Das klingt harmlos. Doch für narzisstische Muster kann es Dynamit sein: Bestätigung hier, Abwertung dort, Isolation überall.
Narzissmus: grandios, vulnerabel – und im Kern oft „nicht gut genug“
Hagemeyer unterscheidet zwei Ausprägungen, die in der Alltagssprache gern verschwimmen: den grandiosen Narzissmus, der sich überhöht, und den vulnerablen, der „fürchtet, kritisiert zu werden, abgewertet zu werden“ und sich im Kern dauerhaft als minderwertig erlebt. Beiden gemeinsam ist die Fixierung auf das Ich – nur mit entgegengesetztem Vorzeichen. Und beiden gemeinsam ist die Gefahr, durch digitale Resonanzräume verstärkt zu werden: „Wir können sozusagen verstärkend grandios werden über KI, weil wir ständig bestätigt werden, wie so ein Echokammer – und die Abwertung parallel haben.“
Die Pointe ist bitter: Wer ohnehin dazu neigt, sich über Spiegelungen zu stabilisieren, findet in KI-Systemen eine perfekte Oberfläche – glatt, verfügbar, unermüdlich. Und gerade darin liegt die Gefahr, die Bernhard Tewes nüchtern beschreibt: Einige könnten „Empathie mit Effizienz verwechseln“, weil „diese Therapeuten-, Patienten-, Klienten-Beziehung eben fehlt“. Berührung, sagt Hagemeyer, sei das, „was KI noch nicht kann“. Nicht nur physisch. Auch als psychologische Erfahrung: das Gegenüber, das nicht programmiert ist, nicht nur bestätigt, sondern widerspricht, irritiert, atmet.
Tewes, Hypnose-Therapeut und Gründer der Hypnose-App HypnoBox, rückt einen Satz in die Mitte, der in unterschiedlichen Varianten in vielen Therapien wiederkehrt: „Selbstwert Thema Nummer eins.“ Und er wird noch konkreter: „Wir kommen immer am Ende darauf zurück: … ich bin nicht gut genug.“ Narzissmus erscheint hier nicht als glamouröse Selbstverliebtheit, sondern als Schutzform gegen ein tiefes Wertlosigkeitsgefühl – eine Rüstung, die innen hohl klingt.
Glimmer statt Trigger: Wie das Nervensystem Sicherheit lernt
Tewes bringt ein Wort ins Spiel, das zunächst nach Social-Media-Sprech klingt – und dann erstaunlich präzise wird: Glimmer. Es meint positive Trigger, Sicherheitssignale - und sein gleichnamiges Buch über eine neue Psychologie der positiven Trigger. Nicht die Alarmglocken, sondern die kleinen Zeichen, die das parasympathische Nervensystem aktivieren, „bringen Ruhe, Entspannung rein“. Glimmer sind nicht die großen Heilsversprechen, sondern die unspektakulären Momente, die dem Körper sagen: Du bist sicher.
Das Entscheidende ist die Unterscheidung zwischen echtem und falschem Glimmer. Ein Whiskyglas könne „Fake-Glimmer“ sein, sagt Tewes – weil es kurz aufhellt, aber „in Wahrheit hinterlässt es dann irgendwann eine ziemliche Leere oder einen Kater“. Das ist mehr als Wellness-Rhetorik. Es ist ein Modell dafür, wie sich Menschen selbst regulieren: durch Konsum, Anerkennung, Ablenkung – oder durch wirkliche Ressourcen.
Hagemeyer übersetzt das in ein therapeutisches Prinzip, das in verschiedenen Methoden wieder auftaucht: Netzwerke im Gehirn lassen sich „mischen“. Furcht- oder Traumanetzwerk auf der einen Seite, Ressourcennetzwerk auf der anderen. Wer beides vorsichtig miteinander verknüpft – Bilder, Zustände, Körperanker – erlebt, dass das Bedrohliche an Gewicht verliert. Hagemeyer nennt es, halb verblüfft, halb begeistert: „Magic eigentlich. Es ist wirklich etwas Magisches“, weil es für Betroffene oft kontraintuitiv ist. Das Trauma fühlt sich absolut an. Die Angst fühlt sich wahrer an als jede Sicherheit. Und doch kann das Gehirn lernen, neu zu gewichten.
Tewes beschreibt Hypnose als einen Zustand, in dem Lernen wieder möglich wird – tiefer als Meditation, näher am Unbewussten: „Ich bringe meine Klienten … in einen lernfähigen Zustand eines Sechsjährigen.“ Das klingt provokant, ist aber therapeutisch plausibel: Je weniger das Ich kontrolliert, desto eher werden alte, festgefahrene Muster veränderbar. Nicht, weil jemand „programmiert“ wird, sondern weil Widerstände kurz leiser werden.
Suggestion als Gefahr: Manipulation beginnt oft im Nebensatz
Spätestens hier kippt das Thema ins Politische. Hagemeyer spricht über Missbrauch – nicht nur in Showhypnose, sondern in Führung, Kommunikation, Gesellschaft: „Wir leben in einer Zeit, wo wir viel Desinformation haben und wo wir auch selber manipuliert werden und nicht wissen, dass wir es werden.“ Manipulation sei oft „ganz sutil, ganz alltäglich“. Und sie greife besonders dann, wenn Gruppen in Stress geraten und „Verantwortung abgeben“ – eine Regression „in den Kindsmodus“. Dann sehne man sich nach einem starken Führer, nach „Pseudostärke“.
Die Brücke zur Hypnose ist klar: Suggestion wirkt dort am besten, wo Kritik und Selbstreflexion aussetzen. Tewes liefert dafür ein alltägliches Beispiel, das fast erschreckender ist als jede politische Rede. „Nehmen wir mal einen Arzt. Ein Arzt hat einen weißen Kittel an und sagt: tut mir leid, sie haben noch drei Monate zu leben. Ja, also das ist ja eine Suggestion.“ Solche Sätze gehen, wie er sagt, „rugi-zugi“ am „kritischen Faktor“ vorbei und setzen sich als Glaubenssatz fest. Der Mensch glaubt, weil er glauben soll. Und handelt danach.
Das ist der Punkt, an dem mentale Gesundheit plötzlich etwas mit Demokratie zu tun hat. Wer sich selbst nicht mehr als Handelnder erlebt, wer nur noch reagiert, wer im Dauerstress nach schnellen Antworten greift, wird anfälliger – für Heilsversprechen, für Feindbilder, für einfache Narrative. Tewes zitiert eine Zahl, die wie eine Entschuldigung klingen kann, aber eher als Auftrag verstanden werden sollte: „Man sagt ja nur 2–5 Prozent … unsere täglichen Entscheidungen treffen wir bewusst und der Rest ist eben unbewusst.“ Wenn das stimmt, ist Bewusstheit keine hübsche Tugend, sondern eine Trainingsfrage.
Hagemeyer erinnert an Viktor Frankl: Zwischen Reiz und Reaktion liege ein Raum. Dort sitze die Freiheit. Wer diesen Raum nicht mehr spürt, lässt sich schieben.
Am Ende geht es um Bewusstheit – nicht um Zauberei
Vielleicht ist das der überraschendste Ertrag dieses Themas: Hypnose ist weniger das Spektakel des Kontrollverlusts als eine Praxis der Rückgewinnung. Nicht als Allheilmittel – Tewes sagt ausdrücklich, es sei „auch ein Werkzeug“ und funktioniere nicht immer –, sondern als Methode, das Unbewusste zu erreichen, ohne ihm blind zu folgen. „Bleibt bewusst“, sagt Hagemeyer zum Schluss. Tewes ergänzt: „Bleibt bewusst, bleibt reflektiert.“
Diese Sätze fassen zusammen, was in einer psychologisch aufgeladenen Gegenwart leicht verloren geht: Dass Selbststeuerung nicht bedeutet, immer stark zu sein, sondern die eigenen Muster zu erkennen. Dass Narzissmus nicht nur ein Schimpfwort ist, sondern auch ein Hinweis auf Verletzlichkeit. Und dass Technik helfen kann – aber das Menschliche nicht ersetzen sollte.