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Eric Wrede über Rituale, Trauerarbeit und emotionale Selbstwirksamkeit

Wenn der Tod die Tür öffnet

Eric Wrede über Rituale, Trauerarbeit und emotionale Selbstwirksamkeit
Eric Wrede

Der Tod ist eine Zumutung. Eine Kränkung für unsere Vorstellung von Kontrolle, Sicherheit und Planbarkeit. Und dennoch ist er das Einzige, was sicher ist. Trotzdem hat unsere Gesellschaft, wie kaum eine andere, gelernt, ihn zu verdrängen: Wir sterben im Verborgenen, wir sprechen selten darüber, wir delegieren den Umgang mit dem Tod an Profis.

Dabei zeigt sich immer deutlicher, wie dringend eine neue Kultur der Trauer ist. Denn gut zu trauern bedeutet nicht nur, den Verlust eines Menschen zu verarbeiten. Es bedeutet auch, das eigene Leben bewusster zu führen.

Eric Wrede, ehemaliger Musikmanager, heute Bestatter und Trauerbegleiter in Berlin, formuliert es so: "Gesundes Trauern ist menschliches Wachstum." In seiner Arbeit hat er gelernt, dass die Art, wie wir mit dem Tod umgehen, viel über uns selbst sagt. "Wir verdrängen ihn nicht, weil wir schwach sind. Wir verdrängen ihn, weil wir überhaupt erst so leben können."

Verantwortung statt Verdrängung

Wer trauert, so Wrede, lernt nicht nur, mit dem Verlust eines geliebten Menschen umzugehen, sondern auch, Verantwortung zu übernehmen – für sich selbst, für andere, für das, was bleibt.

"Die Frage ist nicht: Willst du über deinen Tod nachdenken? Die Frage ist: Wer ist von dir abhängig?" sagt Wrede. Wer diese Frage ehrlich beantwortet, merkt schnell, dass Vorsorge kein morbider Akt ist, sondern ein Akt der Liebe. Und der Selbstachtung.

Viele glauben, sie müssten traurig genug oder ernst genug sein, um mit uns zu sprechen – dabei reicht es, einfach da zu sein.

Eric Wrede

Tatsächlich zeigt sich ein Wandel: Immer mehr Menschen, so berichtet Wrede, kommen zu ihm, noch bevor der Tod überhaupt eingetreten ist. Um Fragen zu klären, um sich vorzubereiten. Und nicht zuletzt: Um sicherzustellen, dass das eigene Leben am Ende nicht in einer lieblosen Standardzeremonie verdampft, sondern in Würde verabschiedet wird.

Die politische Dimension der Trauer

Was leicht esoterisch klingt, hat tiefgreifende gesellschaftliche Folgen. "Schlechte Trauerverarbeitung beeinflusst unser Wahlverhalten", sagt Wrede. Das klingt gewagt, ist aber empirisch belegt. Wer nie gelernt hat, mit Verlust umzugehen, ist anfälliger für populistische Narrative, für die Verlockung von Scheinlösungen. Wer Trauer verdrängt, sehnt sich nach einer heilen Welt, die nie existiert hat.

Der Tod – das zeigt Wredes Arbeit – ist nicht nur eine individuelle Krise. Er ist ein gesellschaftlicher Lernmoment. Wer diesen Moment sinnvoll gestaltet, wer Menschen Zeit, Raum und Sprache gibt, ihre Trauer auszudrücken, der verhindert nicht nur psychisches Leid. Sondern auch politische Radikalisierung.

Ein Film als Einladung zum Nachdenken

Wie das konkret aussehen kann, zeigt der Kinodokumentarfilm "Der Tod ist ein Arschloch", der Eric Wrede über zwei Jahre hinweg begleitet hat. Der Film vermeidet jede pathetische Zuspitzung und verzichtet bewusst auf Voyeurismus. Und dennoch bleibt er nah, erzählt vom Schmerz, aber auch von der Kraft, die in einem gelungenen Abschied liegt.

"Ich habe mich an tote Körper gewöhnt", sagt Wrede an einer Stelle. "Aber ich will mich nicht daran gewöhnen, tote Kinder zu sehen, die so alt sind wie meine Tochter." Der Satz steht für das, was seine Arbeit ausmacht: Nähe ohne Pathos. Ehrlichkeit ohne Zynismus.

Wer den Tod besser versteht, versteht das Leben besser. Und wer Trauer nicht als Störung begreift, sondern als Prozess, öffnet sich der Möglichkeit, darin zu wachsen. So gesehen ist der Tod kein Ende, sondern eine Möglichkeit der Veränderung.

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