Quantencomputing galt lange als exzentrischer Randbereich der Physik – faszinierend, theoretisch, unzugänglich. Nun aber tritt die Technologie aus dem Labor heraus. Nicht als ferne Verheißung, sondern als Industrieprodukt. Firmen wie IQM liefern komplette Rechner an Rechenzentren in Korea, Taiwan oder Deutschland; Maschinen, die Hunderte Tage durchlaufen, ohne dass ein Physiker Hand anlegt. „Wir sind stolz darauf, dass wir die Firma sind, die weltweit am meisten Quantencomputer verkauft hat“, sagt Dr. Jan Goetz, Mitgründer und CEO von IQM, auf dem 48forward Festival in München.
Das Versprechen der Technologie ist ebenso schlicht wie radikal: Quantencomputer wachsen nicht linear, sondern exponentiell in ihrer Leistungsfähigkeit. Wo klassische Rechenzentren im Wettlauf mit der künstlichen Intelligenz bereits Gigawatt verschlingen, setzt die Quantenphysik ein anderes Skalengesetz. Ein einzelner Prozessor mit doppelt so vielen Qubits liefert nicht die doppelte, sondern eine um Größenordnungen höhere Rechenleistung – ohne proportional wachsenden Energiebedarf. In einer Zeit, in der ganze Rechenzentrums-Komplexe geplant werden, deren Grundfläche Manhattan ähnelt, ist das mehr als nur ein technischer Vorteil. Es ist eine schlichte Notwendigkeit.
Die Frage, die wir nicht stellen
Wer nach Anwendungen fragt, hört oft vorschnell: Portfolio-Optimierung, Logistik, Materialforschung, Energiesysteme. Tatsächlich aber sind viele dieser Beispiele derzeit nur im Maßstab kleiner Testprobleme realisierbar. „Wir befinden uns noch im Proof-of-Concept-Stadium“, sagt Goetz. Aber genau darin steckt der Kern der größeren Wahrheit.
Der eigentliche Fortschritt liegt nicht darin, heutige Probleme schneller zu lösen. Er liegt in jenen Fragen, die wir gar nicht erst stellen, weil sie mit klassischen Computern nicht berechenbar wären. Fahrplanoptimierungen in Echtzeit für das europäische Schienennetz. Molekularsimulationen, die den jahrzehntealten Haber-Bosch-Prozess ersetzen könnten – jenes energieintensive Fundament der globalen Düngemittelproduktion. Oder chemische Reaktionen, die bislang nur unter enormem Druck und hohen Temperaturen möglich sind. „Das Versprechen von Quantencomputing ist, Antworten auf Fragestellungen zu finden, die wir heute nicht angehen, weil kein Computer der Welt uns die Antwort geben könnte“, formuliert Goetz.
Diese Perspektive verschiebt die Debatte: vom technologischen Zaubertrick hin zu einer kulturellen Frage. Welche Probleme wagt eine Gesellschaft zu lösen, wenn plötzlich Berechenbarkeit entsteht, wo vorher nur Unschärfe war?
Europa zwischen Vorsprung und Zerfaserung
Für einmal steht Europa nicht am Rand der Entwicklung, sondern mitten in ihr. Die universitäre Grundlagenforschung ist stark, die Zahl der Spin-offs hoch, die Talente international konkurrenzfähig. „Was Talent angeht, sind wir in Europa sehr gut aufgestellt“, sagt Goetz. Und tatsächlich: Nirgendwo sonst gibt es so viele junge Quantenfirmen wie zwischen Helsinki, München, Paris und Delft.
Doch der Vorsprung ist fragil. Wo in den USA wenige große Spieler Milliarden einsammeln, verteilt sich Europas Innovationskraft auf viele kleine Inseln. Diese Fragmentierung birgt das Risiko, erneut das bekannte Muster zu wiederholen: Europa finanziert Grundlagen – und die Wertschöpfung wandert ab. „Wenn wir nicht aufpassen, machen wir den gleichen Fehler wie in der Vergangenheit“, warnt Goetz.
Der geplante „Quantum Act“ der EU, der wie der Chips Act nicht nur regulieren, sondern insbesondere fördern soll, könnte die Richtung ändern. Wenn er schnell genug kommt, und wenn er den Mut hat, Größe zu ermöglichen.
Sicherheit: Eine Technologie mit zwei Schneiden
Kaum ein Bereich zeigt deutlicher die Ambivalenz des Quantums als die IT-Sicherheit. Seit dem Shor-Algorithmus von 1993 ist klar: Ein ausreichend großer Quantencomputer könnte verbreitete Verschlüsselungssysteme knacken – inklusive jener, die heute Banken, Chats und staatliche Kommunikation absichern. „Wer Daten verschickt, die auch in zehn Jahren noch sensibel sind, sollte sich Gedanken machen“, sagt Goetz.
Gleichzeitig entstehen neue, quantensichere Verfahren und Technologien wie Quantenkommunikation über Glasfaser, die Manipulationen sofort erkennt. Risiko und Chance sind hier untrennbar miteinander verwoben. Eine gesellschaftliche Aufgabe wird es sein, früh genug umzurüsten – nicht erst, wenn die ersten Maschinen bereitstehen.
Zukunft im Maschinenraum
Eines wird sich jedoch nicht ändern: Die Technologie allein löst nichts. Unternehmen brauchen Expertise, Software-Stacks müssen Abstraktion schaffen, damit Anwenderinnen und Anwender nicht Physiker sein müssen. Noch sind viele Tools roh, noch sind viele Algorithmen akademisch. Aber der Wille der Industrie ist sichtbar. Fast alle großen Konzerne bauen interne Quantenteams auf – mehr Signal als sofortige Notwendigkeit, aber entscheidend für das Ökosystem.
„Als Gesellschaft sollten wir offen sein gegenüber neuen Technologien“, sagt Goetz. Vielleicht liegt genau darin der wichtigste Punkt: Quantencomputing ist kein magisches System, sondern ein Werkzeug. Eines, das man verstehen kann. Eines, das man gestalten muss.