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Jeff Jarvis: Verlieren die USA gerade ihre Demokratie?

Die letzte Bastion

Jeff Jarvis: Verlieren die USA gerade ihre Demokratie?
Jeff Jarvis

Jeff Jarvis hat über fünf Jahrzehnte im Journalismus verbracht. Er war Reporter, Autor, Professor – und ist bis heute einer der schärfsten Medienkritiker der Vereinigten Staaten. Wenn er heute über sein Heimatland spricht, klingt es nicht nach nüchterner Analyse, sondern nach Abgesang. „Wir erleben nichts Geringeres als den Sturz Amerikas in den Faschismus – und den vollständigen Zusammenbruch des Journalismus, der das nicht erkennt, nicht benennt, nicht erklärt.“

Jarvis ist keiner, der übertreibt. Und gerade deshalb wirkt seine Diagnose so verstörend. Die Vereinigten Staaten, sagt er, seien auf dem Weg in ein autoritäres System – nicht durch einen plötzlichen Umsturz, sondern durch systematische Aushöhlung: „Der sogenannte ‚unified executive‘ ist längst Realität. Die Gerichte sind gekauft, der Kongress gelähmt, die Medien eingeschüchtert.“

Donald Trump, seit acht Monaten erneut im Amt, spricht inzwischen offen von einem „Betrug“, wenn über ihn kritisch berichtet wird. Wer 97 Prozent negative Presse bekomme, könne nicht mehr von Meinungsfreiheit sprechen, ließ er verlauten. Es ist mehr als eine polemische Zuspitzung – es ist der Versuch, Kritik zur Lüge zu erklären. Und Wahrheit zur Gefahr.

Wenn der Journalismus kapituliert

Jarvis beobachtet die Entwicklungen nicht nur aus der Distanz – er kennt die Mechanismen der Branche von innen. „Ich sehe derzeit bessere Berichterstattung über Amerika in deutschen Medien als in amerikanischen“, sagt er. „Die Süddeutsche, der Spiegel – ich schreibe manchmal an Jochen Wegner von der ZEIT und bitte darum, Artikel zu übersetzen.“

Was er meint, ist ein strukturelles Versagen. Medienhäuser, die sich früher als vierte Gewalt verstanden, halten heute den Kopf unten. Nicht weil sie überzeugt wären – sondern aus Angst. Der Fall Jimmy Kimmel, dessen Late-Night-Show ohne Vorwarnung aus dem Programm genommen wurde, markiert dabei eine neue Eskalationsstufe. Sein „Vergehen“: ironische Kritik an Donald Trump, wenige Tage nach dem Mord an dem rechten Aktivisten Charlie Kirk.

„Die Medien kapitulieren“, sagt Jarvis. „Sie hoffen, dass sie verschont bleiben, wenn sie sich anpassen. Aber Trump kennt keine Gnade – er nimmt nur.“

Währenddessen übernehmen Investoren aus seinem Umfeld ganze Netzwerke: CBS, möglicherweise bald CNN, TikTok, sogar Disney stehen unter Druck. Wer sich gegen den Kurs stellt, riskiert den Job – oder wird vorauseilend entfernt.

„Die Medienlandschaft ist entweder bereits in der Hand der Trumpisten – oder zu Tode verängstigt“, sagt Jarvis. „Und das Internet ist keine Alternative mehr: Twitter ist rechtsradikal, Zuckerberg hat kapituliert, TikTok wird gerade übernommen.“

Die alten Feindbilder, neu sortiert

Doch es geht nicht nur um Medienmacht. Für Jarvis ist die Grundlage dieses autoritären Drangs eine tiefere: Rassismus. „Die USA wurden als Sklavenhaltergesellschaft gegründet. Die Institutionen – Senat, Wahlrecht, Electoral College – dienten dem Schutz dieses Systems. Und daran hat sich im Kern nichts geändert.“

Was Trump und seine Unterstützer aufbauen, ist keine klassische Ideologie. Es ist ein Kult. Und dieser Kult braucht Feindbilder. Jarvis: „Sie können nicht laut sagen, dass sie Schwarze oder Juden hassen – also sagen sie: Transpersonen. LGBTQ. Migranten. Irgendjemand mit braunem Gesicht. Der muss herhalten.“

Die Dynamik erinnert an Europa in den 1930er-Jahren – auch daran, wie wenig frühzeitiger Widerstand zu spüren war. Jarvis zitiert Hannah Arendt: „Die Wurzeln des Totalitarismus liegen in der Einsamkeit.“ Die Loslösung von Gemeinschaft, die Abkoppelung vom Alltag – sie machen Menschen anfällig für Propaganda.

Wenn es zur Gewalt kommt, sind die Trumpisten bewaffnet, organisiert und maskiert. Wir sind es nicht.

Jeff Jarvis

In den USA werde nicht mehr über reale Probleme gesprochen, sondern über Symbole: Waffenrechte, Abtreibung, „Woke Culture“. Medien greifen diese Narrative auf, wiederholen sie, bis sie Wirklichkeit werden. „So verschiebt sich der Diskurs – und mit ihm die Mitte. Was einst extrem war, gilt heute als diskutabel.“

Wenn das Lachen verstummt

Besonders bitter: Die klarsten Stimmen des Widerstands kommen nicht aus der Politik – sondern von Komikern. Jimmy Kimmel, Stephen Colbert, Late-Night-Stars, seien heute relevanter als viele Senatoren.

„Sie hatten den Mut, auszusprechen, was andere nur denken. Deshalb wurden sie zur Gefahr“, sagt Jarvis. Doch auch sie stehen unter Druck. Kimmel darf vorerst nicht mehr senden, weil ABC als Teil von Disney selbst unter Beobachtung steht. „Wenn er geht, verliert er alles. Wenn er bleibt, verliert er seine Stimme.“

Und die Frage bleibt: Wo ist der Rest? „In Berlin gehen mehr Menschen gegen Trump auf die Straße als in New York. Es fehlt an politischer Führung. Und die Komiker, die besten Anführer, die wir hatten, werden ausgeschaltet.“

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