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Kai-Uwe Jürgens: Wie entsteht Loyalität in einer Welt ohne Loyalität?

Warum Bindung heute anders funktioniert

Kai-Uwe Jürgens: Wie entsteht Loyalität in einer Welt ohne Loyalität?
Kai-Uwe Jürgens

Lange galten Punkte, Stempel und Rabattmarken als der Inbegriff von Kundenbindung. Ein paar Cent zurück beim nächsten Einkauf, ein Bonus für die zehnte Tasse Kaffee – und schon blieb man einer Marke treu. Doch diese Zeit ist vorbei. Die klassischen Modelle der Kundenloyalität wirken zunehmend wie Relikte aus einer Ära, in der Auswahl begrenzt, Märkte übersichtlich und Zielgruppen vergleichsweise homogen waren. Heute ist Loyalität komplizierter – und wertvoller.

Kai-Uwe Jürgens, Managing Director DACH bei TLC Worldwide, bringt es auf den Punkt: „Transaktionale Loyalty allein funktioniert nicht mehr.“ Das Sammeln von Punkten sei „relativ tot“, nicht im Sinne von nutzlos, sondern als ausgereiztes Modell, dessen Wertschöpfungslimit erreicht sei. Wer heute Kundinnen und Kunden dauerhaft binden will, muss verstehen, dass Loyalität kein Programm mehr ist – sondern ein Ergebnis echter Beziehung.

Beziehung bedeutet aber mehr als das Gewähren von Preisvorteilen. Es geht um emotionale Verbundenheit, um Werte, um Identifikation. Die Frage lautet nicht mehr: Wie viel Rabatt gebe ich?, sondern: Welches Gefühl hinterlasse ich?

Emotion statt Rabatt: Loyalty als Erlebnis

Loyalität lässt sich nicht kaufen – schon gar nicht mit fünf Prozent Nachlass. Entscheidend sind Erfahrungen, mit denen sich Menschen verbinden können. „Kunden haben heute unbegrenzte Optionen“, sagt Jürgens. Sie wählen Marken nicht, weil sie günstiger sind, sondern weil sie zu ihrer Identität passen.

Gerade am Point of Sale entscheidet nicht der niedrigere Preis, sondern die stärkere Geschichte. Wer zwischen zwei nahezu identischen Produkten steht, greift zu dem, das mehr Bedeutung verspricht: ein Erlebnis, ein Wert, ein Versprechen.

Es ist der Unterschied zwischen drei Euro zurück und fünfzig Euro für ein Hotel in Italien. Ein Beispiel, das Jürgens bewusst generisch hält – aber illustriert, worum es geht: eine emotionale Aufladung, die weit über den Kauf hinaus wirkt. Gute Loyalty-Programme schaffen Engagement – und Engagement schafft Bindung. „Engagement gewinnt Herzen“, sagt Jürgens. „Aber Loyalty muss auch die Brieftasche gewinnen.“

Dafür braucht es mehr als Incentives: Es braucht Relevanz. Und Relevanz entsteht aus Daten. Nicht aus Daten allein, sondern aus der Fähigkeit, sie empathisch zu lesen. „Daten ohne Empathie sind Lärm, Empathie ohne Daten ist blind“, fasst Jürgens zusammen. Erst wenn beides zusammenkommt, entsteht ein Bild davon, was Menschen wirklich bewegt – und wie Marken auf dieser Basis Beziehungen gestalten können.

Eine Generation, die anders loyal ist

Oft heißt es, die junge Generation sei illoyal. Sie folge flüchtigen Trends, teste Marken aus, verhalte sich unberechenbar. Jürgens sieht das anders: „Gen Z ist nicht illoyal, sondern anders loyal.“ Statussymbole verlieren an Strahlkraft. Werte gewinnen. Gemeinschaften, Haltungen und Purpose ersetzen Logos. Wer dazugehören will, kauft nicht mehr das Produkt selbst – sondern das, wofür es steht.

Loyalität ist damit nicht verschwunden, sondern verschoben: weg vom Eigentum, hin zur Identität. Marken, die dies ignorieren, verlieren schneller als jemals zuvor. Marken, die es verstehen, öffnen Räume für Bindung, die tiefer reicht als ein Bonuspunkt je konnte.

Wohin Loyalty sich entwickelt

Loyalty 2030 wird emotionaler, menschlicher, relevanter. Programme werden weniger Datenbanken und mehr Beziehungen sein. Sie werden Communities bilden, nicht nur Kundendateien. Unternehmen werden nicht nur Umsatz messen, sondern Vertrauen – und verstehen müssen, dass Vertrauen die langfristige Währung ist, die am schwersten zu gewinnen und am leichtesten zu verlieren ist.

Künstliche Intelligenz spielt dabei eine zentrale Rolle. Sie beschleunigt Analyse, Mustererkennung, Aussteuerung. Doch sie ersetzt nicht die menschliche Erfahrung, nicht die Fähigkeit, Kontext zu interpretieren, nicht das Gespür für kulturelle Verschiebungen. Jürgens formuliert es nüchtern: „KI kann viel, aber sie ersetzt nicht 30 Jahre Marktverständnis.“

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