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Martin Hecker: Ist faire Digitalisierung möglich – und beginnt sie südlich der Sahara?

Wie junge Talente in Ghana und Ruanda die IT-Welt verändern

Martin Hecker: Ist faire Digitalisierung möglich – und beginnt sie südlich der Sahara?
Martin Hecker

Während Europa altert und händeringend nach IT-Fachkräften sucht, wächst südlich der Sahara eine Generation heran, die über das Potenzial verfügt, die digitale Infrastruktur von morgen mitzugestalten. Ghana, Ruanda, bald womöglich auch Kenia oder Äthiopien – dort, wo jahrzehntelang der globale Süden vor allem als Hilfsempfänger betrachtet wurde, entstehen heute Kompetenzzentren für Softwareentwicklung, Cloud-Architektur und künstliche Intelligenz. Nicht als verlängerte Werkbank, sondern als ernstzunehmender Partner in der globalen Wertschöpfung.

„Die jungen Menschen, mit denen wir arbeiten, sind hervorragend ausgebildet, haben einen Abschluss in Mathematik, Informatik oder Elektrotechnik – aber sie finden vor Ort kaum Jobs“, sagt Martin Hecker, der als Unternehmer das Social Business AmaliTech aufgebaut hat. Sein Modell: Qualifizierung in eigenen Trainingsprogrammen, anschließend Festanstellung in internationalen IT-Projekten. Der Bedarf auf europäischer Seite ist offensichtlich. Und die Talente auf afrikanischer Seite sind da – mehr, als Hecker je erwartet hätte: „Auf unseren ersten Aufruf hin haben sich 4.500 Menschen beworben. Wir konnten kaum die Bewerbungen sichten, so groß war der Ansturm.“

Ein neuer Standard für Fairness

Was AmaliTech von vielen klassischen Offshoring-Dienstleistern unterscheidet, ist die soziale Architektur des Unternehmens: Überschüsse fließen nicht in Boni für Investoren, sondern in Initiativen wie „Coding for Kids“ oder „Women in Tech“. Mehr als 2.500 Kinder in Ghana haben bereits Zugang zu digitaler Bildung bekommen – viele davon Mädchen, die sich bislang selten in Technikberufen sahen. Es geht um mehr als Effizienz. Es geht um Würde.

Auch deshalb bleiben die Mitarbeitenden: Über 95 Prozent der angestellten Entwicklerinnen und Entwickler arbeiten langfristig bei AmaliTech. Ein Wert, von dem große Dienstleister in Indien oder Südostasien nur träumen können. „Unsere Leute wissen, dass sie nicht für den Profit einzelner arbeiten, sondern Teil einer Bewegung sind, die echte Chancen schafft“, erklärt Hecker. Es sei eben nicht egal, wie man Wertschöpfung organisiert. Eine stabile Stromversorgung, zertifizierte Sicherheitsprozesse und eine Infrastruktur auf europäischem Niveau helfen dabei, Skepsis auf Kundenseite auszuräumen.

Brücken statt Abhängigkeiten

Dabei geht es längst nicht mehr nur um günstige Ressourcen. AmaliTech ist Partner von AWS, Microsoft und Salesforce – mit Teams, die an Backbone-Systemen und KI-Lösungen arbeiten. Die Zusammenarbeit beginnt häufig mit einem kleinen Pilotprojekt und wächst dann kontinuierlich. Besonders gefragt ist die Kombination aus technologischer Exzellenz und interkultureller Kommunikation. Englisch ist in Ghana und Ruanda offizielle Unterrichtssprache – ein Vorteil, der im Alltag schnell spürbar wird. „Viele Unternehmen sind überrascht, wie reibungslos das funktioniert“, sagt Hecker.

Wir bauen Brücken nach Afrika – und verbinden Fachkräftemangel mit ungenutztem Talent.

Martin Hecker

Er glaubt nicht an die These, dass KI menschliche Arbeit in der Breite ersetzen wird. Im Gegenteil: Gerade junge Entwicklerinnen und Entwickler könnten mit KI-Tools schneller lernen und produktiver werden. „Wir statten alle mit den entsprechenden Werkzeugen aus – unter Berücksichtigung der Datenschutzvorgaben. Und wir sehen, wie viel mehr unsere Teams mit KI leisten können, wenn sie gut angeleitet sind.“ Für Hecker ist das kein Gegensatz, sondern eine Symbiose: Menschliche Kreativität und maschinelle Effizienz wachsen zusammen.

Was wir heute übersehen

Europa debattiert über Migrationsabkommen, Talentprogramme und den demografischen Wandel – doch selten schaut man nach Afrika, wenn es um zukunftsfähige Lösungen geht. Dabei ist es kein Geheimnis, dass der Subkontinent bis 2040 der einzige weltweit sein wird, dessen Bevölkerung wächst – und zwar jung, technikaffin, motiviert. Wer das ignoriert, denkt zu kurzfristig.

„Die Menschen, über die wir reden, sind alle schon geboren“, sagt Hecker. „Wenn man strategisch denkt, muss man Afrika in jede langfristige Sourcing-Strategie einbeziehen.“ Die Frage ist nicht mehr, ob – sondern wie.

Martin Hecker hat das, worüber viele noch theoretisch nachdenken, längst in die Praxis überführt. In einem Gespräch mit Daniel Fürg sprach er ausführlich über die Gründung von AmaliTech, über Bildungsarbeit, wirtschaftliche Kooperation auf Augenhöhe – und darüber, warum Europas digitale Zukunft ohne Afrika nicht mehr denkbar ist.

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