Kriegsberichterstattung galt lange als ein Beruf, der vor allem Robustheit verlangt: Schutzweste, Helm, Distanz. Doch die Realität moderner Konflikte lässt diese Vorstellung zunehmend brüchig erscheinen. Reporterinnen wie Sophia Maier erleben, dass Angst nicht nur ein abstraktes Risiko ist, sondern sich in existenziellen Momenten einnistet. „Ich habe wirklich existenzielle Angst erlebt“, sagt sie. In der Ukraine war es eine Rakete, die zehn Sekunden nach der Durchfahrt ihres Autos einschlug – ein Moment, der ihren Blick auf Gefahr dauerhaft veränderte. Und dennoch griff sie reflexhaft zur Kamera. „Was gibt mir in dem Moment Sicherheit? Das zu tun, was ich am besten kann: Reporterin sein.“
Diese Spannung zwischen persönlicher Verletzlichkeit und beruflicher Aufgabe ist mehr als nur eine individuelle Erfahrung. Sie steht stellvertretend für ein neues journalistisches Zeitalter, in dem sich Nähe kaum noch kontrollieren lässt – emotional wie medial. In ihrem Buch "Herz aus Stacheldraht" versucht Maier genau diese Ambivalenzen sichtbar zu machen: die Härte des Krieges und die Zerbrechlichkeit der Menschen, die in ihm leben. Krieg ist heute kein ferner Ausnahmezustand mehr, sondern dringt ungefiltert in unsere Alltagsrealität. Und doch verschwinden die Menschen hinter den Bildern immer mehr aus dem öffentlichen Bewusstsein.
Die Entmenschlichung im Diskurs
Wenn über Flucht gesprochen wird, dann häufig im Vokabular einer technischen Störung: „Wirtschaftsflüchtlinge“, „Migrationsprobleme“, „Abschiebestatistiken“. Für Maier ist das Symptom einer gefährlichen Entwicklung. „Alleine, dass wir in der deutschen Gesellschaft diese Worte benutzen oder sagen, die einen sind die guten Geflüchteten, die anderen die schlechten Geflüchteten – das finde ich wirklich problematisch.“
Sie erlebt vor Ort, wie politisch motivierte Vereinfachungen konkrete Lebensgeschichten überdecken. Die Gründe, weshalb Menschen ihre Heimat verlassen, sind selten monokausal. Hunger, Armut, politische Unterdrückung, Klimawandel – oft überlagern sich die Faktoren. Und westliche Politik ist nicht selten Teil dieses Geflechts. „Wir tun so, als wäre Flucht eine Naturkatastrophe, die im luftleeren Raum passiert. Aber Flucht hat immer Gründe, die auch mit westlicher Politik zusammenhängen.“
Doch gerade diese Zusammenhänge verschwinden zunehmend aus dem öffentlichen Raum. Die politische Debatte verengt sich: von Ursachen zu Symptomen, von globalen Zusammenhängen zu nationalen Reflexen. Die Diskursräume schrumpfen, die Emotionen steigen – und mit ihnen das Gefühl vieler Bürgerinnen und Bürger, von klassischen Medien nicht mehr verstanden oder vertreten zu werden. Maier spürt das unmittelbar: „Es sind nicht alles Extremrechte, die das Vertrauen in Medien verlieren. Das sind Menschen, die meine Oma sein könnten oder meine Nachbarn.“
Die Überforderung der Öffentlichkeit
Die digitale Dauerkrise verstärkt dieses Misstrauen. Die Massivität ungefilterter Kriegsbilder – auf Instagram, TikTok, in Telegram-Kanälen – überfordert selbst Menschen, die beruflich damit umgehen können. „Ich habe Bilder gesehen, die ich in meine Träume mitgenommen habe“, sagt Maier. Was macht es dann erst mit jenen, die keinerlei mediale Resilienz besitzen?
Zugleich verändern sich die Mechanismen journalistischer Arbeit. In der Ukraine erlebte Maier, wie „jeder freie Kollege“ versuchte, ohne Vorbereitung ins Land zu gelangen. Professionelle Distanz und persönliche Sicherheit verschwimmen, während die Logik der Algorithmen Inhalte belohnt, die schockieren, nicht solche, die erklären.
Gleichzeitig wächst eine neue Gefahr: Persönliche Medienmarken gewinnen an Einfluss, während traditionelle Redaktionen an Vertrauen verlieren. „Mir schreiben Menschen: Ich glaube nur dir. Und ich denke mir: um Gottes willen – ich will gar nicht diese Rolle haben.“ Was als Kompliment gemeint ist, beschreibt in Wahrheit einen tiefen strukturellen Riss: Die Loyalität verschiebt sich vom institutionellen Journalismus hin zu Einzelpersonen, deren Reichweite sich oft der Logik politischer Extreme nähert.
Die komplizierte Wahrheit vor Ort
Maier begegnet in Kriegsregionen Menschen, die nicht politisiert sind, sondern schlicht überleben wollen. Andere wiederum schweigen aus Angst – wie in Syrien, wo „die Wände Ohren haben“. Oft ist es für Reporter unmöglich zu erkennen, wie sehr Menschen die Propaganda ihrer Regime verinnerlicht haben. Objektivität ist unter solchen Bedingungen ein Ideal, aber kein erreichbarer Zustand. „Ich bin mir gar nicht sicher, ob es wirkliche Objektivität gibt“, sagt Maier. Sie setzt stattdessen auf Haltung – dort, wo es um Unverhandelbares geht: Menschenwürde, Völkerrecht, den Schutz von Kindern und Zivilisten.
Gleichzeitig führt ihre Arbeit sie auch zu den Akteuren der Gewalt: Taliban-Kommandeure, Funktionäre der Hamas, Sprecher militanter Gruppen. Viele dieser Interviews entstehen spontan, „jetzt oder nie“. Die wichtigste Aufgabe ist dann nicht, in wenigen Minuten die Wahrheit zu ergründen, sondern eine Gesprächssituation zu schaffen, in der kritische Fragen überhaupt möglich werden – und Propaganda im Nachgang klar einzuordnen. „Das ist für mich Journalismus“, sagt sie.
Ich bin eine Idealistin und eine Perfektionistin. Das ist nicht unbedingt die beste Kombination, wenn man in Krisengebieten unterwegs ist.
Sophia Maier
Verletzlichkeit als Preis
Die Jahre in Kriegsregionen, auf Demonstrationen, unter Drohungen und digitaler Gewalt haben Spuren hinterlassen. „Ich habe lange gar nicht auf mich aufgepasst“, sagt Maier. Die Mischung aus traumatisierten Gesprächspartnern, eigener Gefährdung und politischer Polarisierung hat ein emotionales Echo hinterlassen, dem man nicht entkommen kann. Erst spät hat sie gelernt, Pausen zuzulassen – oder zumindest Pausen zu versuchen.